"Toys are toil! In the idle parent's utopia all toys would be banned." - aus "The idle Parent" von Tom Hodgkinson -
Schon bevor es überhaupt das Licht der Welt erblickt hatte, waren sich mein Mann und ich einig, dass unser Kind mit wenig Spielzeug auskommen wird. Dass wir uns in diesem Punkt einig waren, hat verschiedene Gründe: Die Umwelt, unsere Nerven, unsere Finanzen.
Der allerwichtigste Grund: Unser Kind. Denn Kinder brauchen eigentlich kaum Spielzeug. Sie haben Fantasie und sollen sie behalten.
Eine kurze Definition
Wenn ich von Spielzeug oder Spielsachen spreche, meine ich damit alle Gegenstände, die extra zum Zweck des Spielens hergestellt wurden.
Was nicht dazu gehört ist offenes Material welches zum Spielen gebraucht werden kann: Karton, Tücher, Mobiliar, Körbe oder Naturmaterialien wie Tannzapfen. Auch Arbeitsmaterial wie Besen oder Küchenwerkzeuge für Kinder zähle ich nicht dazu.
Minimalismus
Ehrlich gesagt mag ich das Wort Minimalismus nicht besonders (aber Google mag es und deshalb habe ich es im Titel verwendet). Der Begriff kann den Eindruck erwecken, dass es eine allgemein gültige und richtige Anzahl von Dingen gibt die man besitzen darf damit man sich MinimalistIn nennen darf.
Deshalb spreche ich viel lieber von der Reduktion auf das Wesentliche. Denn das Wesentliche ist für uns alle etwas anderes. Was ist für Kinder wesentlich? Wenn du dir 5 Dinge aufschreibst, die dein Kind braucht damit es sich gesund entwickelt und glücklich ist? Was steht dann auf deiner Liste? Der 10te Lego Ninja, das Playmobile Piratenschiff oder die singende Spielzeug-Eisprinzessin? Eben.
Gerade kleineren Kindern tun wir keinen Gefallen, wenn wir ihr Zimmer mit einem zu grossen Spielangebot füllen. Ein Kleinkind kann schon überfordert sein, wenn ihm mehr als 4 Spielangebote zur Auswahl stehen, für die es sich interessiert. Das ist, als ob vier Spielgspändli ihm zurufen: «Komm, spiel mit mir!», «Nein, mit mir!», «Hallohallohallo, spiel mit mir!».
Wenn du dich also manchmal fragst, warum dein Kind nicht richtig ins Spiel kommt, obwohl es doch so viel coole Spielsachen zur Auswahl hat. That’s why!
Kreativität
Kinder bringen unendlich viel Kreativität mit. Wir dürfen darauf vertrauen, dass sie sich schon etwas einfallen lassen. Die schöne Nebenwirkung: je mehr sie sich einfallen lassen müssen weil nicht einfach alles in Hülle und Fülle zur Verfügung steht, desto mehr bilden sie ihre Kreativität und ihre Fähigkeit zum Probleme lösen aus. Nicht umsonst wird das Projekt «Spielzeugfrei» in vielen Kindergärten zur Suchtprävention durchgeführt. Dazu gehört auch, dass die Kinder genügend Zeit haben in der wir sie in Ruhe (spielen) lassen.
Qualität
Viel wichtiger als eine grosse Auswahl ist, dass dem Kind Spielsachen zur Verfügung stehen die seinen Interessen und dem aktuellen Entwicklungsstand entsprechen. Das erfordert von uns, dass wir unser Kind regelmässig im Spiel beobachten und das Angebot laufend ergänzen oder auswechseln. Wenn wir Spielsachen kaufen oder schenken lassen, sollten wir darauf achten, dass es Qualitätsspielzeug ist welches später noch oft weiterziehen kann und dass es nachhaltig und fair produziert wurde Es ist ein viel schöneres Gefühl, wenn unser Kind mit etwas spielt, dass von einem anderen Menschen unter würdigen Bedingungen hergestellt wurde und nicht die Erde belastet, auf der es noch 90 Jahre weiter leben möchte.
Vorbeugen
Auch wenn es nie zu spät ist um umzudenken und einen neuen Umgang mit Spielzeug einzuführen, ist es doch am einfachsten von Anfang an damit zu beginnen. Wir können zum Beispiel dem Umfeld kommunizieren, welche Art und wie viele Geschenke wir uns für unsere Kinder wünschen, oder ob überhaupt. Ja, das darf man. Und wenn ein Kind erleben darf, dass es trotz wenig Spielsachen glücklich ist, wird es materiellen Dingen hoffentlich auch später weniger Wert beimessen. Oder es erinnert sich zumindest irgendwann später wieder daran. Dabei spielen wir selbst eine ganz wichtige Rolle:
Vorbilder
Kinder orientieren sich an uns. Wenn sie bei ihren Eltern sehen, dass sie sich und andere mit Materiellem belohnen und trösten, dass sie dem «Haben» mehr Bedeutung beimessen als dem «Sein» und dass sie sich vor allem über ihre Besitztümer definieren, lernen sie genau das. Umgekehrt können wir unseren Kindern vorleben (nicht predigen), dass Beziehungen, Zeit und schöne Momente das wichtigste sind.
Noch etwas
Unsere Kinder lieben uns kein Milligramm weniger, wenn wir ihnen nicht jeden materiellen Wunsch erfüllen. Was Kinder von uns brauchen ist bedingungslose Liebe, achtsame Zuwendung und Zeit. Und davon haben wir sicher mehr, wenn wir nicht die ganze Zeit (genervt) mit Aufräumen beschäftigt sind.
Wenn wir die Spielsachen in unserem Zuhause auf ein sinnvolles Mass beschränken, tun wir damit nicht also nicht nur unserem Portemonnaie, unseren Nerven und der Umwelt einen Gefallen, sondern in erster Linie unseren Kindern.
Und nicht vergessen: Es ist alles ein Prozess. Perfekt gibt es nicht. Seien wir nett zu uns.
Zum weiterlesen & -schauen:
- Spannendes Interview zum Thema "Spielzeugfrei".
- Trevor Noah ist mit wenig Spielzeug aufgewachsen. Sein Lieblingsspielzeug war ein Ziegelstein.
- Das Buch «The Idle Parent» von Tom Hodgkinson habe ich während der Schwangerschaft verschlungen, dabei viel gelacht & noch mehr gelernt. Für gesellschaftskritische Freunde des englischen Humors. Auf Deutsch unter dem Titel "Leitfaden für faule Eltern" nur als E-Book erhältlich.
- Das Buch «The Montessori Toddler» (englisch) von Simone Davies. Eine Fundgrube für alle, die der Montessori Ansatz interessiert. Ganzheitlich gedacht & wunderschön umgesetzt. Seit kurzem ist es auch in Deutsch «Montessori für Eltern» Simone Davies